Inhalt von Die Geschichte des Kinos
Es gibt nicht wirklich eine Geschichte des Kino, nur die Geschichte des technologischen Fortschritts. Der innere Drang, beziehungsweise das unüberwindbare Verlangen nach packenden Geschichten und fantastischen Orten, war schon immer ein Teil von uns. Einst die Schaubuden mit ihren Panoptiken und August Fuhrmanns Kaiserpanorama, heute sind es 3D und CGI, die die Massen in die Geldbörse greifen lassen. Der Weg vorbei am Stereoskop gilt als spannendes Spiegelbild der menschlichen Psyche und Beweis für den erfinderischen Geist, den sich alle Generationen teilen.
„Ich muss Ihnen gestehen, die Liebe zum Kino ist mir wichtiger als jede Moral.“ – Alfred Hitchcock.
Ruhe am Set — Die Anfänge
Die Familien Latham (New York), Skladanowsky (Berlin) und Lumière (Paris) sind die Steine, die alles ins Rollen gebracht haben. In verschiedenen Monaten des Jahres 1895 stellten sie die ersten, kinogemäßen Filmvorführungen für ein zahlendes Publikum auf die Beine. Und wo der Rubel rollt, lässt auch der Fortschritt nicht lange auf sich warten — denn nur wer der Konkurrenz immer einen Schritt voraus ist, wird die Zeit überstehen. Ein Motto, welches heute schließlich die gesamte Kinowelt beherrscht.
Bild oben: Einer der ersten, echten Meilensteine in der Geschichte des Kino: „Das Cabinet des Dr. Caligari“ (1920), von Robert Wiene.
Bewegte Fotografie, romantisch auch als lebende Fotografie bezeichnet, fand ihren Weg circa 1905 in die Herzen der Menschen. Langsam aber sicher wurde das Medium Film wie eine echte, dauerhafte Errungenschaft angesehen und nicht wie bisher in breiter Masse üblich als Kuriosität. Kinos mit regelmäßigen Vorführungen wurden eröffnet, nach und nach verfielen immer mehr Bürger dem Bann anderer Dimensionen.
Und wo die Menschen ihre Zuneigung gestehen, werden Götter geboren. Oder zumindest Personen, die sich für solche halten. Filmstars und Sternchen erblickten das erste Mal das Licht der Welt. Menschen, deren Selbst in unseren Augen zwischen Rolle und Person vermischt. Götzen von jemanden, den wir gar nicht kennen, mit dem wir uns dennoch identifizieren und der/die so unerreichbar ist, dass das eigene Leben gleich viel normaler wirkt.
Dieser Tage ist es relativ leicht sich vorzustellen, wie schnell eine neue, unverbrauchte Idee Anhänger für sich gewinnen kann und ebenfalls mit welcher Geschwindigkeit ein neu entdeckter Markt die Möglichkeit hat, sich in alle Richtungen zu entfalten. Um die vorletzte Jahrhundertwende war ein solches Ereignis jedoch noch recht rar gesät; was die Faszination für die Welt des Kino nur noch interessanter machte, womit immer mehr Besucher für dieses Medium gewonnen werden konnte.
Es war die Glanzzeit der Filmpaläste, die Geburtsstunde der Großkinos und eine wichtige Zeit der Entwicklung für das Medium Film selbst. Die Werke wurden anspruchsvoller (Film d‘Art) und die eleganten 1920er Jahre färbten auf die Architektur ab. Regisseure, Kinozuschauer, Filmstars, Kritiker und Produktionsstudios schaukelten sich und das Phänomen Kino immer weiter nach oben. Eine Geschichte der großen Erfolge und niederschmetternden Niederlagen.
„Ich mache gerne Filme und spiele gerne in ihnen und vermutlich werde ich stets ein Stück Film sein.“ – Charlie Chaplin.
Bitte, was? – Einzug des Tonfilm
Die zwei größten Veränderung traten mit der Einführung des Tons auf. Ihr müsst euch nur einmal vorstellen: die Stummfilmzeit präsentierte eher ein kleines Filmprogramm aus kürzeren Streifen und dazwischen dem Hauptfilm, statt einer Vorführung, wie wir sie heute kennen. Anfangs waren diese Vorstellungen kaum 20 Minuten lang, später noch immer nicht länger als eine Stunde. Der Tonfilm sollte dies, neben dem offensichtlichen Unterschied, ändern.
Bild oben: Die einst größte Fusion aus Bild und Orchester: der Stummfilm „Metropolis“ aus dem Jahr 1927.
Ton- und sogar Farbfilm wurden bereits auf der Weltausstellung 1900 präsentiert, waren für die kommerzielle Nutzung jedoch viel zu kostspielig und damit unbrauchbar. Dass dies nicht immer so bleiben würde war vielen Studios schon damals klar, andere mussten es später auf die harte und recht schmerzvolle Tour lernen. Lange Zeit wurde der Tonfilm nämlich verlacht und als Konkurrenz für klassische Stummfilme nicht ernst genommen. Doch der Wandel war unaufhaltsam und schon bald wollte ein jeder Filme mit Ton sehen … und vor allem hören.
Mit jeder Grenze, die das Kino überschritt und so neue Bereiche für sich beanspruchen konnte, wuchs das Ungetüm Filmkunst weiter und weiter, brachte neue Genre, Technik und Techniken hervor, erschuf die Trickfilme, Dokumentationen und den Grundstein für das, was wir heute im Allgemeinen unter diesem Begriff verstehen. Genre und Sub-Genre entwickelten sich wie von selbst. Die Drehbuchautoren ihrer Zeit waren Pioniere, die — ähnlich wie heute — ihre Inspiration meist in Büchern und alten Märchen fanden.
„Man geht nicht bloß ins Kino, um sich Filme anzusehen. Man geht vielmehr ins Kino, um mit zweihundert Menschen zu lachen und zu weinen.“ – John Naisbitt.
Der gelbe Steinweg – Farbfilme
Wir wollen in Welten entführt werden, die uns Dinge zeigen, die wir im eigenen Leben nicht haben können. Gibt es nur einen Strohhalm, halten wir uns eben an diesem fest, nichtsdestoweniger muss jedem klar sein, dass es in der Natur des Menschen liegt, mehr zu wollen. Als die Methoden zur Herstellung von Farbfilmen langsam aber sicher finanzierbar wurden, war die nächste Kino-Revolution wieder einmal nur eine Frage der Zeit. Schließlich verlangt es uns naturgemäß nach mehr und nie nach weniger. Um die Realität hinter sich zu lassen, musste der Kinofilm erst einmal mehr wie die Wirklichkeit in Erscheinung treten.
Bild oben: Ausbruch aus der Farbarmut: „Der Zauberer von Oz“ (1939) von Victor Fleming.
Unterschiedliche Technicolor-Verfahren und viel Ausprobieren waren von Nöten, einige leicht und andere ganz schön schwer zu erklärende Produktionsverfahren kamen und gingen, doch am Ende hat sich das Gesicht des Kino dauerhaft geändert. Das Bild mag immer schärfer werden, die Pixel häufen sich, die dritte Dimension wird erobert und wer weiß, welche Überraschungen die Denker noch für uns Filmsüchtige parat haben … doch hier wurde das Kino zu einer festen Größe, verankert mit der modernen Geschichte der Menschheit.
Seither werden vor allen Dingen mit den Farben allerlei Experimente getrieben. Die Welt des Kino ist ein Ort, der sich leicht dafür nutzen lässt und dafür genutzt werden sollte, Zuschauer auf gewissen Ebenen zu manipulieren. Das lässt sich mit vielerlei Hilfsmitteln bewerkstelligen, jedoch niemals so schön und einprägsam wie mit der richtigen Farbpalette. Achtet doch einmal auf die Farbfilter in einem Film und vergleicht diese mit einem ganz anderen Genre, einem differenzierten Grundton.
„Das Problem mit Filmstars ist dasselbe wie mit den Adeligen. Sie werden nicht nach der Qualität ihrer Ideen beurteilt, sondern nach ihrem Status.“ – Kevin Costner.
Frische Luft im Kino — Der Wandel
Die Zeit ist ein garstiges Biest, immer hungrig, niemals ruhend. Und wie heißt es doch so schön? Bist du erst ganz oben, kann es nur noch abwärts gehen. Die Fernsehapparate hielten Einzug in die Heime vieler Familien und machten dem Kino Konkurrenz, die Einkünfte an den Kassen gingen zurück und die Sorge unter den Produzenten wuchs. Lediglich in den USA boomte das Geschäft mit den bewegten Bildern noch immer. Begünstigt durch die wachsende Motorisierung in den Nachkriegsjahren entstand so eine ganz neue Form des Freiluftkino: das Autokino.
Bild oben: Diese Art des Freiluftkinos eignet sich auch für jede Form von Horrorfilm…
Der Rest der Welt hatte schwerer zu kämpfen. Überall schlossen Lichtspielhäuser ihre Pforten, große Säle verbliebener Kinos wurden des öfteren in kleinere Säle aufgeteilt; spöttisch als Schachtelkinos bezeichnet. Dieser Abwärtstrend konnte nur durch die Einführung von 3D-Filmen kurzzeitig gestoppt werden. Ende der 1980 Jahre hatte das Kinosterben trotzdem einen traurigen Höhepunkt erreicht; der zweite Boom war schnell abgeklungen.
Kinos, welche die Krisenjahre bis heute überlebt haben, konnten ihren Stellenwert auf dem Markt mittlerweile festigen und haben — in der Regel — schwarze Zahlen. Obwohl mit Filmen weltweit noch immer eine unglaubliche Menge an Geld verdient wird, sind die Endgeräte doch überwiegend andere geworden. Nur dank moderner Ausrüstung und erstklassigen Sound-Systemen können sich diese, vorwiegend Multiplex-Kinos überhaupt noch über Wasser halten.
„In der rätselhaften Welt des Kinos wächst die Feigheit proportional der Menge des investierten Geldes.“ – Peter Ustinov.
Das große Getriebe
Ihr, Schauspieler, Drehbuchautoren, Kritiker, der ganze Haufen, der bereits aufgezählt wurde: all diese Menschen. Sie könnten sich alle zusammentun und zetern und streiken und sich dagegen wehren – an der Einstellung der großen Konzerne ändert das herzlich wenig. Es geht immer nur ums Geld und wo die Taler klingeln sollen, ist meist kein Platz für Kunst und Feinheit. Einst haben Liebhaber den Markt kontrolliert, heute größtenteils Anzugträger, die durch ganze Welten von ihrem eigenen Produkt getrennt werden.
Mit der Größe des Kino wurde auch der Wettkampf härter, die zu erreichenden Zahlen höher und letztendlich vieles in der bunten Welt der Stars und Sternchen zu einem einzigen Geschäft. Das mag negative Folgen haben — die hundertste Buchverfilmung vom gleichen Autor, das zehnte Reboot, Remake, Prequel oder auch Sequel und andere Horrorszenarien, die den Tierschutz auf den Plan rufen müssten – schließlich strömen sofort Vergleiche des totgerittenen Pferds und bis zu den Knochen gemolkene Kühe in den Kopf.
Bild oben: „Mit „Avatar — Aufbruch nach Pandora“ eroberte die dritte Dimension die Säle der Welt.
Solch ein Kampf um den letzten Cent hat aber auch seine Vorteile; er zwingt die Genies dieser Welt, ihren Denkprozessor bis an seine Grenzen zu führen. Neue Ideen, Tricks und Kniffe verschmelzen mit der fortschreitenden Technologie und bringen das Medium Film immer weiter voran. Obwohl die prinzipielle Technik schon sehr viel länger existiert, hat es zum Beispiel einen James Cameron gebraucht, um 3D Alltagstauglich zu gestalten.
Ob ihr dies mögt oder euch lieber ein bis zwei Jahrzehnte zurück wünscht, in eine Zeit und Welt, die ihr noch verstehen konntet und geliebt habt, ist dabei völlig irrelevant. Es geht fast immer nur vorwärts und der Zug der Veränderung hält für niemanden an. Was die Zuschauer wollen, oder besser: wofür die Zuschauer zahlen, wird von der großen Maschine aufgesaugt, eingebaut und so lange reproduziert, bis es euch und mir zu den Ohren heraus kommt.
„Es ist ein schrecklicher Kompromiss. Für Kunst bleibt keine Zeit. Alles, was zählt, ist das, was sie die ‚Kinokasse‘ nennen.“ – Greta Garbo.
Cineastische Wunderwelten
Natürlich lässt sich nicht nur die Technik anpassen, auch der Erzählstil wandelt sich mit den Jahren und dem Nerv des geneigten Kinogängers. Stimmt das Verhältnis zwischen Ausgaben und Einnahmen, wird die Idee hundertfach kopiert. In diesen Zeiten sind es zum Beispiel die cineastischen Universen, zusammenhängende Filme, die miteinander verflochten wurden und ebenso aufeinander aufbauen. Nicht per se von Marvel ins Leben gerufen, mit ihrem „Marvel Cinematic Universe“ jedoch zum Vorreiter dieses Trends geworden.
Bild oben: „Im Jahr 2008 belebte Marvel´s „Iron Man“ nicht nur die Karriere von Robert Downey Jr. neu, sondern lies auch die Brust des MCU schlagen.
Die Säle dieser Welt sind dabei jedoch in den Schatten geraten. Der heimische PC, Konsolen, Smart-TVs und ganze Heimkino-Anlagen haben sich mit mobilen Geräten wie Handy und Tablet zu einem unüberwindbaren Konkurrenten für das Kino verschmolzen. Davon wird sich der Markt wohl nicht wieder erholen und ein neuer Boom ist kaum realistisch. Trotzdem gibt es etwas, dass bis heute noch kein Endgerät der Welt dem Kino streitig machen konnte.
Auf der großen Leinwand sieht einfach alles so viel bombastischer aus. Mit hundert, zweihundert anderen Menschen in einem Saal sitzen. Gemeinsam lachen und weinen, den Atem anhalten; sich die flache Hand gegen die Stirn klatschen. Der dunkle Saal als Möglichkeit, tief und noch tiefer in die begehrten, fremden Welten einzutauchen. Wem dieses Gefühl gefällt und wer nicht unbedingt Pech mit respekt- und taktlosen anderen Gästen im Saal hat, wird schwerlich eine passende Alternative finden. Kino ist schon lange keine abendliche Ablenkung vom Alltag mehr. Es ist Alltag. Ein Lebensgefühl.
„Je weniger Happy Ends das Leben uns bereitet, umso mehr brauchen wir davon im Kino.“ – Walter Ludin.
Heiner “Gumpi” Gumprecht, 18.07.2017 / Bildquelle: Verleih