Scott Derricksons „Doctor Strange“ aus dem Jahr 2016 war ohne Frage einer der besten Filme des Marvel Cinematic Universe und hat die Messlatte für andere Werke dieses Filmuniversums unverschämt hoch gelegt. Sein Nachfolger, „Doctor Strange In The Multiverse Of Madness“, ist hingegen vor allen Dingen eins: äußerst aufmerksamkeitsgeil. Er lockt mit schönen Bildern und bekannten Comicfiguren, kann abgesehen davon aber nicht viel mehr bieten.
Inhalt von „Doctor Strange 2: In The Multiverse Of Madness“ – Unsere spoilerfreie Filmkritik
von Heiner Gumprecht | 03.05.2022
Scott Derricksons „Doctor Strange“ aus dem Jahr 2016 war ohne Frage einer der besten Filme des Marvel Cinematic Universe und hat die Messlatte für andere Werke dieses Filmuniversums unverschämt hoch gelegt. Sein Nachfolger, „Doctor Strange In The Multiverse Of Madness“, ist hingegen vor allen Dingen eins: äußerst aufmerksamkeitsgeil. Er lockt mit schönen Bildern und bekannten Comicfiguren, kann abgesehen davon aber nicht viel mehr bieten.
Doctor Strange 2: Eine Kritik
Doch beginnen wir am Anfang. Das Sequel, das zum zweiten Mal seit Beginn des MCU den charismatischen und äußerst mächtigen Magier Doctor Strange (Benedict Cumberbatch) in den Mittelpunkt der Ereignisse rückt, baut in gewisser Weise auf der Serie WandaVision auf, die seit 2021 auf Walt Disneys hauseigenem Video-on-Demand-Sender Disney+ läuft. Was aus gewisser Sicht ein wenig unverschämt ist, da Teile der Handlung dieser Show relevant für die Story von „Doctor Strange 2“ sind.
Wer die Show mit Elizabeth Olsen und Paul Bettany nicht gesehen hat, muss sich entsprechend einige Eckdaten selbst zusammenreimen. Was den meisten Fans relativ einfach fallen wird, nichtsdestoweniger vermeidbar gewesen wäre. Eine kleine Zusammenfassung oder wenigstens ein/zwei Rückblicke hätten diesen Umstand ausgeglichen, so aber fühlt es sich an, als wolle Mutterkonzern Walt Disney die Zuschauer*innen auf Gedeih und Verderb dazu bringen, ihnen noch ein paar Taler mehr zu überlassen.
Dieser Verdacht verhärtet sich mit Blick auf die vielen Figuren, die in den letzten Trailern zu „Doctor Strange 2“ angekündigt beziehungsweise versprochen wurden, und die lediglich einem Zweck dienen: Fanservice. Sie haben keine großartige Daseinsberechtigung in Raimis Werk, noch sind sie sonderlich gut ausgearbeitet oder geschickt in die Handlung integriert worden. Was besonders mit Blick auf Spider-Man: No Way Home tragisch ist, denn hier wurden die Helden und Schurken aus dem Multiversum deutlich motivierter in die Geschichte eingewoben.
Sie hatten einen Platz im Plot, ein gewisses Gewicht, und existierten nicht nur, um spätere Filme über andere Heldengruppierungen zu rechtfertigen. „Doctor Strange 2“ wirft hingegen mit solchen Charakteren förmlich um sich, gibt jedoch keiner einzigen Figur mehr Tiefe, als auf einem Esslöffel Platz finden würde. Natürlich ist dieser Kritikpunkt zu verkraften und manche Kinogänger*innen wird es nicht einmal auffallen, schade ist es dennoch und auch vollkommen unnötig, denn Zeit und Raum für eine solche Integration wären vorhanden gewesen.
Doctor Strange 2: Ein Antagonist zum Fürchten
Dafür hat Raimi bei einem anderen Handlungsträger jedoch weitgehend ins Schwarze getroffen, nämlich, wenn es um den Antagonisten geht. Diese Figur stellt sich Strange nicht nur vollkommen unerwartet und doch aus nachvollziehbaren Gründen in den Weg, sie ist zudem eine Naturgewalt, die wie ein Sturm über das MCU hinwegfegt und alles platt walzt. Die Logikarbeit dieses Bösewichts mag etwas unterentwickelt sein, die Performance des entsprechenden Akteurs ist jedoch erstklassig und die Wirkung steht außer Frage.
Erst im Finale entstehen ernsthafte Probleme mit diesem Gegenspieler und die Charakterentwicklung findet viel zu übereilt statt. Gerade das Ende selbst, also quasi die große Auflösung, ist eher schlecht als recht gelungen und kann getrost in der Schublade des Klischees verstaut werden. Was nicht nur enttäuschend ist, es hinterlässt zudem einen faden Beigeschmack, wenn man den Kinosaal wieder verlässt. Es fühlt sich wie verschwendetes Potenzial an, eine vertane Chance, die vielleicht nie wieder kommt.
Hier und da begegnet der Protagonist natürlich noch anderen Schurken, die ihm das Leben schwer machen wollen, doch sie alle sind nicht mehr als Randerscheinungen, die nicht nur schnell in Vergessenheit geraten, sondern auch unter dem Gewicht des eigentlichen Bösewichts erdrückt werden. Vielleicht hätte Regisseur Sam Raimi weniger auf lustige Cameos und Zauber aus einer über dreißig Jahre alten Trickkiste setzen, und sich stattdessen mehr Mühe geben sollen, den Figuren auch Gewicht zu verleihen.
Doctor Strange 2: Hübsch aber dumm
Die Handlung dieses MCU-Werks lässt ebenfalls stark zu wünschen übrig. Keine Frage, diese Superheldenfilme waren nie der Inbegriff der komplexen Erzählkunst, doch die meisten waren zumindest in sich selbst stimmig und haben ihre Logiklücken gut kaschieren können. „Doctor Strange 2“ lässt hingegen alles raus, setzt beinahe durchgehend lieber auf optischen Bombast und Oha- sowie Aha-Momente, anstatt dem Plot auch nur eine geringe Chance zu geben. Natürlich, es macht Spaß und ist teilweise wirklich beeindruckend anzusehen, aber dennoch…
Am Ende des Tages ist Raimis Werk in erster Linie hübsch und wirbt mit vielen interessanten und visuell mitreißenden Einfällen, lässt aber gleichzeitig jede Unsinnigkeit zu, die nur denkbar ist. Von Zaubern, die nur einmal verwendet und dann nicht mehr genutzt werden, als hätten sie einen Cooldown, über Charaktere, die sich absichtlich doof anstellen, bis hin zu Comicfiguren, denen der Auftritt wichtiger ist als der Sieg. Und nicht zu vergessen die Szenen, die keinerlei Daseinsberechtigung im Plot haben.
Es ist leider überdeutlich, dass die Effekthascherei den Ton angibt und alle anderen Elemente sich hinten anstellen müssen. Die Ausarbeitung der Charaktere und der allgemeine Erzählstil kommen dabei besonders kurz, verrecken förmlich unter der Last, einigen gewitzten Einfällen zu ihrem großen Moment auf der Leinwand zu verhelfen. Klar, Spaß macht das ganze Gezaubere und die tollen visuellen Extravaganzen schon, doch wenn selbst ein Film über einen Teenager mit Spinnenkräften Erzählkunst besser hinbekommt, warum sollte man sich dann hiermit zufrieden geben?
Und so ist „Doctor Strange In The Multiverse Of Madness“ leider vor allen Dingen ein Sprungbrett für das MCU, vollkommen frei zu drehen, während mit Charakteren gelockt wird, die wir nie wieder zu sehen bekommen, und Filme vorbereitet werden, die uns schon jetzt erneut ins Kino locken wollen. Es ist kein neuer Avengers, sondern viel mehr ein optisch höchst ansprechendes Versprechen, später noch mehr von dem zu liefern, von dem viele Kinogänger*innen bereits seit 2008 einfach nicht genug bekommen können.
Fazit
Dieses Werk von Regielegende Sam Raimi ist visueller Bombast, unterhaltsames Popcornkino und kurzweilige Unterhaltung, gespickt mit einem tollen Antagonisten. Leider ist die Handlung recht dünn, die Charakterausarbeitung quasi nicht vorhanden und Fanservice steht überall im Vordergrund und lässt sich hier und dort nur von dem Versuch verdrängen, Kinogänger*innen dazu zu bringen, noch mehr vom MCU zu konsumieren. Mühe geben sich die Verantwortlichen dabei nur leider nicht und so bleibt „Doctor Strange 2“ weit hinter den Erwartungen zurück.
Bewertung: 3/5***